AD LIBITUM PROJEKT «OP.2» IM NEUEN KUNSTHAUS ZÜRICH
EINLEITUNG
Kunst hört Musik – Musik sieht Kunst
Seit ewigen Zeiten werden die Künste nebeneinander gestellt. Doch in welchen Räumen begegnen sie sich?
Bereits Giorgio Vasari macht den Versuch, die Unterscheidung zwischen Malerei, Skulptur und Architektur darzustellen: die artes mechanicae, welche er in Paragone den artes liberales gegenüberstellt, die aus der wissenschaftlichen und musischen Tätigkeit des menschlichen Geistes hervorgehen, die sowohl die Dichtung wie auch die Musik inhärieren. In Ludwig Tiecks Phantasien über die Kunst stellt er die Künste nebeneinander und schreibt dazu:
,,Die Kunst ist über dem Menschen: wir können die herrlichen Werke ihrerGeweihten nur bewundern und verehren, und, zur Auflösung und Reinigungaller unserer Gefühle, unser ganzes Gemüt vor ihnen auftun.“Henri Lefebvre beginnt sein Werk La production de l’espace mit den Worten:,,L’espace! Voici peu d’années, ce terme n’evoquait rien d’autre qu’un conceptgéométrique d’un milieu vide.Toute personne instruite le complétait aussitôt d’un terme savant, (…) ou infini.“
1. Der Ausstellungsraum an sich – der Assoziative Raum, offen, frei begehbar
Verschiedene Teile des Kunsthauses werden kammermusikalisch bespielt. Die Besetzungen der Performer*innen ist variabel, sie verteilen sich frei im Raum. Zu gegebenen Zeiten spielen sie in unterschiedlichen Abständen, je nach Ort ergänzen, oder assoziieren sie Klänge zu den Kunstwerken in den Ausstellungsräumen. Es ist frei zu wählen, ob und wie lange das Publikum zuhört, wann es weitergeht, ob nur ein Kunstwerk betrachtet wird, oder eben nur der Musik gelauscht wird. Es ist die Begegnung der Musik im assoziativen, freien Raum. Kuratiert wird der Ablauf der verschiedenen musikalischen Beiträge im Zusammenhang mit der Ausstellung im jeweiligen Raum. Ein Charakter der freien Assoziation wird evoziert, in dem Klänge gleichzeitig aus verschiedenen Räumen erklingen.
2. Das Foyer – Der Begegnungsraum, offen, begehbar
Jede Institution der Kunst hat einen Begegnungsraum, wo geredet, getrunken und gesehen wird. Das Foyer bietet einen Zwischenraum, eine Art «Heterotopie», welche weder das Museum an sich mit seinen Kunstwerken, noch einen Raum, der durch Prämissen beschrieben werden kann. Das Werk «Vivacissimo» von Komponist Eugene Birman wird in diesem Raum mit visuellen und tänzerischen Untermalungen während des Abends gezeigt werden. Das Foyer soll dazu einladen, sich zu begegnen und sich auszutauschen während des gesamten Abends.
3. Der Festsaal – der mittelbare Raum, frei begehbar, geschlossen
Der Festsaal des Neuen Kunsthauses bietet die Möglichkeit eine grössere Besetzung an Musiker:innen zu zeigen. Der Raum wird zwischen Musiktheater und Performativ-installativer Variation das Werk «Dichterliebe» von Christian Jost mit dem Ensemble œnm . œsterreichisches ensemble fuer neue musik unter der Leitung von Christian Jost zeigen. Als Abschlusswerk dieses Abends rundet es die davor offenen, frei hör-baren Performances ab und mündet in eine elegische Endmelodie.
Weshalb die Idee Kunst und Neue Musik zu verbinden?
Freies Hören, Freies Sehen, Freier Raum.
Alleine, im Kollektiv, im assoziativen, imaginierten, mittel- und unmittelbaren Raum Gehend, stehend, sitzend, liegend
Stimmungen zwischen den Räumen entwickeln sich: Während es im einen lauter wird, wird es in den anderen leiser. Die Räume atmen und klingen.
-> Wichtigkeit der Bewegung im Räumlichen, in der Begegnung der Töne und Klänge
Es soll ein Zusammenführen verschiedener ästhetischer Ebenen und dadurch Erlebnisse sein. Wo entstehen, durch die Verbindung und Nähe der Künste, neue Räume, was verändern Räume an der Musik, an der Bewegung der Besucher*in? Das Hören und Sehen soll herausfordern neu zu hören und zu sehen.
Räume werden aufgebrochen und das Fliessende zwischen allen Teilen wird gezeigt.
Räume
Wir möchten neue Räume erkunden, die für jegliches Publikum begehbar sind und alle dazu einladen, sich der Neuen Musik anzunähern. Die Museums- und Kunstwelt ist für diese Art von Begehung eine sehr plausible, da diese Räume viel freier mit dem Besucherpublikum umgehen. Des Weiteren empfinden wir es als eine Pflicht, Künste mehr miteinander zu verbinden, mehr zu hinterfragen und dies auch mit den Besucher:innen zu teilen. Dies ist der Anfang einer langen Reihe für AD LIBITUM, da sich diese Idee durch die ganze Schweiz hindurch ziehen lassen könnte. Den Start in Zürich und am Neuen Kunsthaus Zürich zu wagen, liegt daran, dass Leitungsmitglieder sowie Darsteller:innen aus Zürich stammen und wir genau an diesem Ort ein Angebot machen möchten, wo wir seit jeher vernetzt sind. Sei dies über das Studium, den Beruf, oder private Kontakte. Museale Räume zu bespielen, sie mit zeitgenössischer Kunst in Verbindung zu setzen, um diese zu fördern, ist also mit «OP.2» nicht eine einmalige Idee, sondern gedacht als – ad libitum – frei fortzuführen.
Wir möchten ein Publikum allen Alters, Student:innen, Kunstinteressierte und alle möglichen Menschen zusammenbringen, denen Musik und Kunst am Herzen liegen. Zudem möchten wir mit Künstler:innen aller Welt arbeiten, die hier wohnhaft, oder auch Gäste sind. Wir möchten unser Netzwerk für freie Räume und Austausch untereinander stets erweitern. Um Besucher:innen eine grössere Vielfalt an Angeboten zu präsentieren, ist ein Raum, wo sie sich frei bewegen können, frei entscheiden können, was sie sich anschauen möchten, die wichtigste Ausgangslage. Im Museumsraum sind diese Prämissen gegeben. Die Besucher:innen sind nicht gesetzt: freies Umhergehen, oder Stillstehen ist selbst zu entscheiden.
Mit grosser Freude wird die ZHdK am Programm in «OP.2» mitwirken, wie auch das Ensemble œnm . œsterreichisches ensemble fuer neue musik welches die «Dichterliebe» von Christian Jost als Hauptwerk dieses Abends interpretieren wird. Christian Jost wird das Werk selbst dirigieren.
PROGRAMM
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19:00 Türöffnung Neues Kunsthaus Zürich, Heimplatz 1, 8001 Zürich
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Bespielung Ausstellungsräume/Galerien 19:00-22:00 «Conversation and Commentaries»
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19:30-19:50 Foyer «Vivacissimo» (2023) – Eugene Birman
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20:00-20:15, Ausstellungsräume «Sacred»
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20:30-21:30 Festsaal «Dichterliebe» (2017) – Christian Jost
INFOS ZU DEN STÜCKEN
«Conversation and Commentaries»
Auf verschiedenen Etagen der Ausstellungsräume und Galerien kommentieren die vier Musiker:innen Jack Adler-McKean (Tuba), Elo Masing (Violine), João Carlos Pacheco (Schlagwerk) und Ettore Biagi (Bass-Klarinette) musikalisch die Räume in den oberen Geschossen, bespielen die Galerieräumlichkeiten des Neuen Kunsthauses Zürich und laden ein, durch die Ausstellungsräume zu flanieren, während von Nah und Fern die Klänge der Musiker:innen ertönen. Die Idee, Klänge der hallenden, riesigen Gänge mit den Kunstwerken zu verbinden, ist für die drei Musiker:innen ein stetes Spiel zwischen akustischen Angleichungen aneinander und an der Widerspiegelung der gezeigten Kunst in den einzelnen Ausstellungsräumen.
“Vivacissimo” – Eugene Birman, 2023
Beyond glass doors,
between thick branches of trees
in spring,
the rain falls, quietly.There are noises,
there are people;
they are talking.
Beyond the noises of their talking,
somewhere within me,
on another surface
falls your absence, quietly,
very quietly.
[Gulzar, ABSENCE]
20 July 2023 ---
Coming back to writing music after practically a year (and
before that, after three years of the most intensive and
ambitious creative schedule), one wonders if there is now
something new to say, or something of the old, or just a new
beginning like a second life, an incorporeal rebirth. Even when
one stops writing, the music never stops coming, so I started
asking myself if I, then, simply stopped listening? This act of
creation, of composition (they are two different things, in that
the latter must follow the former, and one is still not done!) is
also very much of the ‘now’, so that past and future do not
matter and the infinitesimal moment of the idea is stretched to
an almost-boundless amount and through this widening, fragile
crack flows the whole thing.
Well, that is how I rationalize this strange feeling of starting a
piece again. I make it about life – the vivace – in the most
general sense.
I walked through the monsoon in Bombay just yesterday, deep
puddles and thick misty opaque air, all how stupid and
unnecessary of me except that to feel, and to be, tangibly
soaked connects through time and space to all the past
experiences and memories, the past squalls, where ‘stupid and
unnecessary’ produced the very same thing.
Each renewal of an event reconstitutes the last and all that came
before it. And so aims this piece, creation as a means of
recovery, life as a means of reliving, and –issimo, most ardently
and limitlessly.
Kolkata, India /// EAB
„Sacred“ – Concept ZHdK
Gründe ins Museum zu gehen, gibt es viele. Ich gehe mit der Familie, mit Freunden, allein, um mir Zeit zu nehmen, schöne Dinge anzuschauen. Es herrscht kein Druck, wie schnell ich mich durch die Säle bewege und wie lange ich vor einem Gemälde stehen bleibe. Ich laufe umher und genieße es die Bilder zu betrachten, die mir gefallen, oder nicht gefallen, oder vielleicht auch bestimmte Emotionen in mir auslösen. Es kann für jeden Menschen eine unterschiedliche Erfahrung sein. In verschieden großen Räumen und Hallen hängen ebenso kleine und große Gemälde an den Wänden. Kunstobjekte stellen sich aus, um betrachtet zu werden. Dabei entsteht eine Beziehung zwischen der Kunst und uns, den Besuchenden. Was ist unsere Rolle in dieser Beziehung? Wie gehe ich mit dieser Abhängig um, dass Museen mich brauchen, um an ihre Wände zu starren? Gleichzeitig besitzen Kunsthäuser ausgesprochene oder unausgesprochene Verhaltensregeln. Du darfst dich frei dich bewegen, jedoch nur schauen und nichts anfassen. Komm den Gemälden nicht zu nahe, sonst geht der Alarm los. Automatisch verändern diese Atmosphären unsere körperliche Haltung. Die Arme werden verschränkt oder beim Gehen hinter dem Rücken verstaut. Auch die Stimme wird gesenkt, um andere Besuchenden bei ihrer Erfahrung nicht zu stören. Mit einer sichtbaren Schüchternheit, Vorsicht und Zurückhaltung, nicht zu sehr aufzufallen, wandeln wir umher. Diese Haltung impliziert eine Sakralität, die wir den Objekten durch unser Verhalten geben. Das Museum wird zu einer Kirche. Der Gang ins Museum wird zu einem Ritual. Bewegungen und Haltungen wiederholen sich. Die Menschen fließen wie ein Fluss durch die Hallen, sie sind immer andere, aber ihre Körper reagieren gleich. Eine Form von Performativität kann hier den Besuchenden entdeckt werden. Was ist das für eine Wechselspiel von uns und den Kunstobjekten? Wie kann und möchte ich mich zu ihnen verhalten? Das Projekt soll diese Form der körperlichen Reaktion von Besuchenden auf Kunst näher erforschen. Musik bietet hier eine Möglichkeit unsere Körper in einen erweiterten Raum der Wahrnehmung zu versetzen und gleichzeitig dieser gewaltsamen Stille und Kälte der Säle und ihrer Gegenstände entgegenzuwirken. Was macht Musik mit Räumen? Wie füllen die Klänge diesen leeren Platz zwischen der Kunst und unseren Körpern? - Leonard Lampert
Dichterliebe – Christian Jost, 2017
Liebe, Einsamkeit und menschliche Endlichkeit: Ewige Themen durchziehen im scheinbar harmlosen Volksliedton die sechzehn Lieder von Robert Schumanns berühmter Dichterliebe auf Gedichte von Heinrich Heine. Diese Lieder sind Klang gewordene Imaginationen einer zerrissenen Seele. Einer rätselhaften Seele, die eine Liebe besingt, von der wir nicht wissen, ob sie erträumt oder reale Vergangenheit ist. Ist bei Schumann jedes Lied für sich abgeschlossen, erscheinen die sechzehn Lieder in meinem Werk wie Inseln, die organisch in eine große, neu angelegte Komposition eingewebt sind. Grundlage meiner Komposition sind Schumanns Harmonien und Melodien, welche die Keimzellen meines Klangstroms bilden. Die Liedtexte Heines bleiben komplett erhalten, wie auch die Gesangslinien Schumanns, obgleich Textstellen wiederholt werden bzw. neue Schwerpunkte erhalten. Dabei bleibt alles im Fluss, einem klanglichen Strom des Unbewussten. Begleitet von assoziativen Visualisierungen erzählt mein Werk keine chronologische Geschichte, sondern öffnet überraschend einzelne Fenster in die menschliche Seele. - Christian Jost
Details
23. Oktober 2024
Neues Kunsthaus Zürich
Heimplatz 1, 8001 Zürich
Team
CONCEPT: AD LIBITUM
Artistic Director: Talisa Walser
Stage and Costume: Maude von Giese
Lightdesign: Marc Hostettler
In cooperation with Zürcher Hochschule der Künste
Kontakt
Künstler
“CONVERSATION AND COMMENTARIES”
Jack Adler-McKean (Tuba)
Ettore Biagi (Clarinet)
Elo Masing (Violine)
João Carlos Pacheco (Percussion)
“SACRED”
CONCEPT/DRAMATURGE: Leo Lampert (ZHdK)
Composition: Dorotea Crameri
Choreography: Rebeka Mondovics
With: Turicum Quartett
Dancers: Julien Guiburg, Frances Chiaverini,
Zoé-Afan Strasser
Sponsoren
“VIVACISSIMO”
Eugene Birman, (2023)
LiLa (Cellist)
Pavel Otdelnov (Visual Artist)
with dancers
“DICHTERLIEBE”
Christian Jost, (2017)
œnm . œsterreichisches
ensemble fuer neue musik
Sascha Kramer, Nora Bertogg (Voice)
Pierre Delignies (Piano)
Augustin Lipp (Marimba/Vibraphone)